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  24.11.2003
Aus meiner Flimmerkiste (16)


Wichtigster Mann im Kinogeschäft: Der Erklärer

Von Dr. Max Abegg

Zu beginnt des vorletzten Jahrhunderts, lange, sehr lange bevor Dolby-Digitalsound-Systeme in den Kinotheater Einzug hielten, hatte der Erklärer im ein wichtiges Amt inne. Er kommentierte sozusagen live, was im stumm projizierten Film vor sich ging.

Er war eine Persönlichkeit, der Erklärer, und vonnöten, musste er doch damals die noch titellosen Stummfilme erläutern. Wie sich der Erklärer in der «Stummfilmzeit» aus der Affäre zog, zeigte der Schauspieler Werner Schwier in der publikumswirksamen TV-Serie des deutschen Fernsehens (ARD) «Es darf gelacht werden»*, die sicher manche Leserin und mancher Leser mit Vergnügen verfolgt hat. Hier aber ein Originaltext, wie ihn der Erklärer des Kinotheaters «Radium» in Zürich am 12.Oktober 1907 für die Vorführung des Kassen- und Hauptschlagers des Films «Edelmütige Vergeltung» als Manuskript vorlas, respektive vor stauenden Männlein und Weiblein zum Besten gab:

«Die Tochter macht einen Spaziergang. Doch, hollah, da scheint sich was anzubahnen! Doch, Glück und Glas, wie leicht bricht das. Die Leidenschaft flieht, die Liebe erkaltet, und das Mädchen ... bleibt sitzen. Was soll sie tun, die Unglückliche? Der Vater versucht den Treulosen zu überreden, aber… vergeblich ist sein Bemühn. Dem jungen Mädchen ist das Herz gebrochen und ... sie siecht dahin wie eine welke Blume.
Doch mit der Schicksals Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten und... Hochmut kommt vor dem Fall! Hier liegt der stolze Jüngling auf der Strasse – bewusstlos – mit gebrochenen Gliedern.
Der Vater weiss noch nicht, zu wem er gerufen wird. Doch jetzt: Ha ... hab' ich dich! Nein, nein, such dir einen andern. Und doch: das Gewissen siegt. Er rettet ihm das Leben. Ihm, der seine Tochter leichtfertig ins Grab stiess. Er hat Grund zu danken, aber der Vater will den Mörder seines einzig geliebten Kindes nicht empfangen, er will ihn nicht mehr sehen. Er möchte seine Ruhe haben.
Doch nochmals überwindet er sich: Vielleicht ist auch diese Seele noch zu retten. Er appelliert an sein Gewissen: Hier, sieh das Grab, hier liegt sie, die du verstossen. Knie nieder und bereue, verlasse dein leichtsinniges Leben und geh in dich ... ja, ich will.»

Dass während und erst recht nach diesem 15 Minuten langen Hauptfilm ein grosses Heulen, Schnupfen und Naseputzen im Gange war – oh ja, das ist verständlich. Verehrte Gnädigste, Sie haben doch jetzt sicherlich auch nasse Augen? Seien Sie ehrlich (und tapfer) Verehrtester, ist Ihnen nicht versehentlich eine Träne der Rührung ins Knopfloch gefallen? (Das will ich hoffen!)
Fortsetzung folgt


*Es darf gelacht werden -– Grotesken aus der guten, alten Kintoppzeit TV-Sendung mit Werner Schwier auf ADR während der Sechzigerjahre.
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